"After Sunset: Perceptions and Histories of the Night in the Graeco-Roman World": 64. "entretiens" der Fondation Hardt in Genf

Ein Beitrag von Marie-Charlotte v. Lehsten.
 
Vom 21.-25. August 2017 veranstaltete die Fondation Hardt in Genf-Vandœuvres ihre 64. entretiens ("Gespräche"), die in diesem Jahr dem Thema der Nacht in der griechisch-römischen Antike gewidmet waren (Programm). Unter der Leitung des Organisators der Konferenz, Angelos Chaniotis, sowie des "directeur" der Fondation Hardt, Pierre Ducrey, kamen acht geladene Forscher zusammen: Sie fungierten jeweils als Experten für einen Bereich aus den Disziplinen der Literaturwissenschaft, Archäologie und Alten Geschichte sowie aus den verschiedenen Epochen der Antike und führten so verschiedene Blickwinkel auf das Thema Nacht zusammen.

Abb. 1: Das Hauptgebäude der Fondation Hardt (alle Fotos: M.-C. v. Lehsten).

Abb. 2: Blick auf das Gewächshaus (links) und die Orangerie, in der die Vorträge und Diskussionen stattfanden.

Neben der ausgesuchten Zusammensetzung des Kreises der aktiven Teilnehmer, die eine hohe Qualität des wissenschaftlichen Austausches garantiert, besteht die Besonderheit der entretiens der Fondation Hardt auch im räumlichen und organisatorischen Umfeld: Die eingeladenen Forscher werden fast eine Woche lang gemeinsam in dem malerischen Anwesen der Fondation (s. Abb. 1 und 2) beherbergt und beköstigt und können zudem die stiftungseigene Bibliothek (s. Abb. 3) nutzen; das Format der Konferenz bietet mit je einer Stunde Vortragszeit sowie ebenfalls einer Stunde Diskussionszeit pro Beitrag die Gelegenheit zur intensiven und tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der Materie. Großzügige Pausen zwischen den Vorträgen ermöglichen zudem einen ausführlichen persönlichen Austausch der Wissenschaftler und Gasthörer.

Abb.3: Impression aus der Bibliothek der Fondation Hardt.

Einer der Ausgangspunkte der Betrachtungen zur Nacht war ihr Verständnis als sog. marked time – als eine Zeit, die mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen ist und deren Nennung daher immer zugleich ein bestimmtes Set an Vorstellungen evoziert. Als Schlüsselwort für eine grundlegende Funktion der Nacht, deren Auswirkungen sich in literarischen Darstellungen ebenso wie in der historischen Lebenswelt widerspiegeln, fiel dabei bspw. häufig der Begriff enhancer of emotions. Vor diesem Hintergrund loteten die Forscher ganz unterschiedliche Felder aus, in denen Nacht eine Rolle spielt.

Vornehmlich im Bereich der Literatur bewegten sich Renate Schlesier (FU Berlin), Koen de Temmerman (Ghent University) und Sergio Casali (Università degli Studi di Roma "Tor Vergata"), die sich der Bedeutung der Nacht bei Sappho und im antiken Roman sowie der Verarbeitung der Nachthandlung von Ilias 10 (der "Dolonie") im römischen Epos widmeten; in der Domäne der bildlichen Darstellungen erörterte Ioannis Mylonopoulos (Columbia University) das weitgehende Fehlen von Abbildungen der Nacht und die auffällige Brutalität in der Darstellung von Nachtszenen auf griechischen Vasen.
Während die vorgenannten Beiträge sich mit künstlerischen Nachtdarstellungen und daher notwendigerweise mit Nachtkonzepten beschäftigten, versuchte Angelos Chaniotis (Institute for Advanced Study, Princeton) seine Analyse von ebendiesen möglichst freizumachen und zeichnete Veränderungen des realen Nachtlebens in der Zeit des Hellenismus nach. Untersuchungen zum Bereich der historischen Nachtgestaltung präsentierten auch Andrew Wilson (University of Oxford) und Leslie Dossey (Loyola University Chicago), die beide einen Schwerpunkt auf das Phänomen der Straßenbeleuchtung legten, jedoch in unterschiedlichen Zeiten und kulturellen Kontexten.
Vinciane Pirenne-Delforge (F.R.S.-FNRS – Université de Liège) und Filippo Carlà-Uhink (PH Heidelberg) bewegten sich mit ihren Vorträgen zu Kulten und Riten, die entweder mit der Nacht als Gottheit verbunden waren oder aber in der Nacht stattfanden, auf der Schnittstelle von literarischen und historischen Fragestellungen.

Im Ganzen bot die Fondation Hardt eine in allen Bereichen gelungene Konferenz in einer ausgesprochen familiären und produktiven Atmosphäre. Hervorzuheben ist auch, dass eine ausgiebige Erörterung der Thematik der Nacht in fast allen Bereichen der Antike schon lange ein Desiderat ist und die Konferenz sowie der entstehende Sammelband vermutlich (oder zumindest hoffentlich) eine größere forscherische Aktivität in diesem Bereich anstoßen werden, die auch mir mit meinem Projekt zur Nacht in der archaisch-klassischen griechischen Literatur sehr willkommen ist. Doch schon jetzt konnte ich eine Vielzahl von Anregungen mitnehmen und einen guten Überblick über die aktuellen Forschungstendenzen zum Thema erhalten. Ich danke daher der Fondation Hardt für die Organisation dieser beeindruckenden und bereichernden Konferenz, die Möglichkeit der Teilnahme als Gasthörerin und die freundliche Betreuung, sowie dem Graduiertenkolleg 1876 für die großzügige Finanzierung meines Aufenthaltes in Genf.

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