Vortrag von PD Dr. habil. Rainer Schreg: Rinder und Schafe – Akteure der Umweltgeschichte

Ein Beitrag von Marie-Charlotte v. Lehsten.

Am 29.6.2017 durfte das GRK Herrn PD Dr. habil. Rainer Schreg vom RGZM Mainz als Referenten begrüßen, dessen Vortrag "Rinder und Schafe – Akteure der Umweltgeschichte" den letzten (aus terminlichen Gründen etwas nach hinten verschobenen) Teil der vom GRK im Wintersemester 2016/17 organisierten Ringvorlesung ("Kunst, Kult und Konsum – Tiere in alten Kulturen") bildete.

Herr Schreg näherte sich dem Thema sowohl von einer allgemeinen Seite her, indem er den theoretischen Hintergrund seiner Forschung und die verschiedenen Arten relevanter Quellen vorstellte, als auch konkret in Hinblick auf die Rolle der Viehwirtschaft im Rahmen der Dorfgenese im 12. und 13. Jahrhundert.
 

Perspektiven und Quellen

Geht es darum, die Rolle von Tieren in der menschlichen Gesellschaft des Mittelalters zu rekonstruieren, gilt es, eine möglichst große Bandbreite wissenschaftlicher Perspektiven (archäologisch, umwelthistorisch, ökologisch und vergleichend) zu vereinen. Da viele Aspekte in den vorhandenen Schriftquellen nicht erfasst sind, ist es nur so (unter Umständen) möglich, einen Einblick in die kulturelle Perzeption von Tieren zu erhalten: Wie nahmen die damaligen Menschen die Rolle von Tieren in ihrer Gesellschaft wahr? Beziehungsweise nahmen sie sie überhaupt wahr?

Aufschluss über diese Rolle können archäologische Befunde wie Tierknochen geben, die z.B. Artentwicklungen (etwa Züchtung hin zu mehr Größe der Rinder aus Prestigegründen) oder durch die Erstellung von Knochenspektren das Verhältnis der genutzten Tierarten zu einer bestimmten Zeit erhellen. Hinzugezogen werden müssen auch Siedlungsbefunde, die Rückschlüsse auf die menschlichen Aktivitäten in ihrem Wohnraum zulassen (aufschlussreich sind hier v.a. Phosphatanalysen), sowie Geländedenkmale, die Formen der Tierhaltung, etwa Schäfereien, anzeigen.
Mit einzubeziehen sind im Bereich der Landschaftsarchäologie Überlegungen zum Verhältnis von Vieh, Weidefläche und zu düngender Ackerfläche im Umfeld von Siedlungen, ebenso wie in ökologischer Hinsicht die Effekte, die Viehhaltung auf die Landschaftsentwicklung hatte, namentlich die Entwicklung von Heidelandschaften und Dünenmobilisierung aufgrund von Entwaldung, Überweidung und Nährstoffentzug.
 
Insgesamt bestimmten mehrere Aspekte die Rolle der Viehwirtschaft:
  • Die durch sie gewonnenen Produkte (nicht nur Nahrung, sondern z.B. auch Textilien),
  • die ökologischen Aspekte (neben der Offenhaltung von Brachland auch der sehr wichtige Faktor der Düngung),
  • die soziale Rolle der Tiere als Prestigeobjekte und Hausgenossen,
  • und schließlich die Risikofaktoren sowohl für die Landschaft (Überweidung) als auch für die Viehbesitzer direkt (Übertragung von Krankheiten, Gefahr von Viehverlusten durch Seuchen oder harte Winter).
     
    Ein Exemplar der Rinderrasse "Rätisches Grauvieh",
    die auch im Mittelalter genutzt wurde (Photo: M.-C. v. Lehsten).

     
    Dorfgenese und Düngung

    Ein besonders bedeutsamer Aspekt bei der Rolle der Viehhaltung im Mittelalter war die Praxis des Düngens, deren Entwicklung und Auswirkungen Herr Schreg vor dem Hintergrund des Übergangs von der privaten Dreifelderwirtschaft zur dörflich organisierten Dreizelgenwirtschaft vorstellte.
    Bei der bis zum 13. Jh. in Mitteleuropa vorherrschenden Form der privaten Dreifelderwirtschaft, bei der auch die für Siedlungen genutzte Fläche aufgrund der dortigen starken Nährstoffanreicherung in die Verschiebungen der Landnutzung mit einbezogen wurde, praktizierte man noch keine gezielte Düngung der Äcker mit Viehmist. Das Anwachsen der Bevölkerung und der Verlust an nutzbarer Fläche durch die Hecken, welche weidendes Vieh von den Äckern abhielten, zugleich aber beim Wenden des Pfluges hinderlich waren, führte im 13./14. Jh. flächendeckend zum Zusammenschluss der vorher verstreuten Höfe in Dörfer. Dabei wurde das umliegende Land in Zelgen (Bewirtschaftungsblöcke) eingeteilt, für die es einen festen Nutzungsplan mit koordinierter Fruchtwechselfolge gab – vorteilhaft daran war u.a. der Landgewinn durch den Wegfall der Hecken.
    Durch die offeneren Flächen, die sich stärker aufheizten und schlechter bewässert werden konnten, und die Tatsache, dass nun nicht mehr die Äcker auf die nährstoffreichen Flächen (also ehemalige Siedlungsflächen) verlegt werden konnten, ergab sich jedoch aus der Dreizelgenwirtschaft langfristig eine Standortverschlechterung.

    Archäologische Untersuchungen belegen nun ab dem 15. Jh. das Erscheinen eines sog. "Scherbenschleiers" auf den Äckern, der ein Indiz dafür ist, dass ab dieser Zeit systematisch Viehdung in Verbindung mit Haushaltsabfällen (daher die Scherben) auf die Felder gebracht wurde.
    Überraschend ist dabei vor allem, dass zwischen diesem Befund und dem Übergang zur Dreizelgenwirtschaft ein Zeitraum von etwa 200 Jahren, eine Art "Düngerlücke", liegt. Auch wenn das Wissen um den Nutzen von Düngung bereits in der Antike (z.B. bei Columella) und auch im Hochmittelalter u.a. bei Walter de Henley (13. Jh.) bezeugt ist, scheint es möglich, dass dieses nur unter Gelehrten kursierte und bei den Bauern zunächst schlichtweg nicht vorhanden war. So könnte es sein, dass die veränderte Rolle von Rindern und Schafen innerhalb der Dreizelgenwirtschaft und die mangelnde Wahrnehmung der Bedeutung des Düngers mitverantwortlich war für die vielen Wüstungen und die wirtschaftliche Krise im Spätmittelalter (14. Jh.).
     

    Tiere als Akteure?

    Abschließend präsentierte Herr Schreg ein Fazit zu der Frage, inwiefern Rinder und Schafe tatsächlich als Akteure der Umweltgeschichte gesehen werden können. Obwohl sie eigentlich vom Menschen diktiert wurden und eine passive Rolle hatten (und in einer solchen auch wahrgenommen wurden), waren sie doch Teil der Hausgemeinschaften mit eigenen Bedürfnissen und beeinflussten durch ihr Verhalten den Ablauf der Siedlungsgeschichte: Jenseits von Kunst, Kult und Konsum waren die Tiere konkret für Landschaftsveränderungen mit verantwortlich.
    Eine Herausforderung bei der Untersuchung dieser Rolle bleibt aber nach wie vor der Umstand, dass die historische Bedeutung der Tiere sich jenseits der Aufmerksamkeit der schriftlichen Quellen bewegt, u.a. deshalb, weil die bäuerliche Lebenswelt in diesen nur bedingt präsent ist, aber möglicherweise auch aufgrund einer etwaigen Tabubelegung des Themas "Dung". Die umwelthistorische Perspektive erlaubt vor diesem Hintergrund eine bestmögliche Erfassung dieser Blindstellen.

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