Tandemvortrag von Victoria Altmann-Wendling und Tim Brandes: "Der Mond als Mittel der Zeitgliederung und als Omen", Mainz, Plenumssitzung des Graduiertenkollegs am 9. Juni 2016

Ein Beitrag von Sonja Gerke.

Der Mond zeichnet sich als nächtlicher "Stellvertreter" der Sonne, ebenso wie sein tägliches Pendant, in zahlreichen Kulturen durch seine enorme Präsenz innerhalb des täglichen Lebens, aber auch in Religion und Vorstellungswelt der Menschen aus. Durch seine Eigenschaften als zugleich konstantes und doch äußerst wandelbares Gestirn, das zudem mit bloßem Auge ohne Probleme zu beobachten ist, eignet er sich hervorragend für die Messung und Einteilung der Zeit, aber auch für ominöse oder astrologische Ausdeutungen.

Diesen beiden Hauptaspekten des Mondes widmeten
Victoria Altmann-Wendling (Ägyptologie) und Tim Brandes (Assyriologie) einen Tandem-Vortrag im Rahmen der Plenumssitzung des Graduiertenkollegs, indem sie verschiedene Aspekte des Mondes und die damit in Verbindung stehenden Konzepte in Ägypten und Vorderasien gegenüberstellten (dies geschah im Anklang an die beiden Dissertationsprojekte: Victoria Altmann-Wendling: Der Mond in den religiösen Texten des griechisch-römischen Ägypten und Tim Brandes: Rituale des kultischen Kalenders als Quelle für unsere Kenntnis altorientalischer Konzepte von Kosmos und Zeit).
 

Der Mond als Herr der Zeit

 
Sowohl in Mesopotamien als auch in Ägypten finden sich zahlreiche Hinweise, dass der Mond besonders eng mit der Wahrnehmung und Einteilung von Zeit in Verbindung steht. So wird ihm bzw. dem Mondgott Sîn in Mesopotamien vom Gott Marduk ausdrücklich die Verantwortung über die Nacht übertragen, nachdem dieser zuvor aus dem Körper der gefallenen Göttin Tiamat die Welt erschaffen hat, wie es im Mythos enūma eliš heißt. Dort erhält er auch explizite Anweisungen zur Durchführung des Mondzyklus, wobei die einzelnen Phasen mit ganz bestimmten Monatsdaten und Tagen in Verbindung gebracht werden. Eine solch explizite Aufgabenverteilung oder Anweisung durch einen Urgott lässt sich in Ägypten zwar nicht finden, doch wird auch hier durch zahlreiche Textzeugen der Bezug des Mondes zu Zeit und Zeiteinteilung deutlich. So werden besonders häufig die Konstanz und Regelmäßigkeit seines Auf- und Untergangs bzw. der einzelnen Mondphasen betont, was ihn für einen Zeitanzeiger geradezu prädestiniert. Zudem wird er u.a. auch explizit als Schöpfer der Zeiteinheiten beschrieben, selbst als Erschaffer der Stunden, obwohl für diese Zeiteinheit eigentlich die Sonne das maßgebliche Gestirn darstellt und auch als solches wahrgenommen wurde.
 

Der Mondmonat

 
Sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien richten sich Anfang und Dauer eines Monats nach dem Mond: Während in Ägypten der Neumond als Monatsanfang gesehen wird, ist es in Mesopotamien die erste Sichtbarkeit der Mondsichel, die den neuen Monat einleitet, doch wird in beiden Kulturräumen der ideale Verlauf eines Monats von 30 Tagen und damit eine Dauer des Jahres von insgesamt 360 Tagen angesetzt. In Mesopotamien werden zudem spezifische Fixpunkte innerhalb eines Monats durch zu bestimmten Zeiten sichtbare Sterne und Sternbilder beschrieben, anhand derer der Zeitverlauf abgelesen und gegebenenfalls Abweichungen von der Regel festgestellt werden konnten. Sollten sich Abweichungen ergeben, muss der Mensch, d.h. in letzter Instanz der König, eingreifen, um den idealen, von den Göttern eingesetzten Lauf der Welt wieder herzustellen. Diese Vorstellung ist sowohl in Mesopotamien als auch in Ägypten zu finden, was sich anhand von innerhalb eines Monats eingefügten Schalttagen bzw. innerhalb eines Jahres von Schaltmonaten manifestiert. In Ägypten werden zudem ganz regulär fünf Tage am Ende des Jahres zugeschaltet, die so genannten "Epagomenen", um den idealen Rhythmus beizubehalten. Die Abweichungen von der Norm können sich durch ungenaue Beobachtungen des Monatsbeginn markierenden Neumondes bzw. Neulichtes ergeben, bspw. verursacht durch klimatische oder wetterbedingte Interferenzen. Allerdings existieren auch Quellen, die darüber Auskunft geben, dass diese Ereignisse nicht nur beobachtet, sondern auch berechnet werden konnten. Weiterhin werden in Ägypten die Monatstage mit bestimmten Göttern verbunden, die auch bildlich dargestellt wurden.
 

Der Mond als Omen


Mesopotamien verfügt über eine überaus reiche Omenliteratur, die deutlich macht, dass jeder Aspekt der Natur als Vorzeichen für (positive wie negative) zukünftige Ereignisse ausgedeutet werden konnte. Auch der Mond, der durch seine ebenso konstante wie wandelbare Präsenz als Ratgeber in dieser Hinsicht geradezu prädestiniert erscheint, wird dabei häufig thematisiert. So galt es beispielsweise als besonders positives Anzeichen, wenn der Mond die volle Zahl der 30 Tage eines Monats erreichte und damit der ideale Lauf von Zeit und Welt funktionierte, umgekehrt aber auch als besonders negatives Omen, wenn die 30 Tage nicht erreicht wurden. Auch das äußere Erscheinungsbild des Mondes unterlag den Deutungen der Gelehrten, so konnte z.B. die Stellung bzw. Neigung der Mondsichel, der "Hörner" des Mondes, oder aber die Färbung der Mondscheibe ausschlaggebend für Glück oder Unglück sein und zum Teil verheerende Folgen für das ganze Land bedeuten. Als besonders verhängnisvolles Anzeichen galten dabei die Eklipsen (Mondfinsternisse), die in Mesopotamien besonders ausführlich im enūma Anu Enlil beschrieben werden. Hier wird deutlich, dass jedes Detail, wie z.B. der Zeitpunkt der Beobachtung, aber auch der genaue Verlauf bzw. welcher Ausschnitt der Mondscheibe betroffen war, für die jeweilige Bedeutung ausschlaggebend sein konnte.

In Ägypten gelten divinatorische Texte generell als ein besonders spätes Phänomen, das vor der griechisch-römischen Zeit kaum belegt ist. Bislang sind lediglich fünf demotische Texte bekannt, die sich mit der Berechnung der Mondphasen in Verbindung bringen lassen. Dabei stellt der römische Papyrus pWien D 4876 eine Besonderheit dar, da er die einzelnen Mondomina, die Färbung der Mondscheibe und weitere sie umgebende oder überlagernde Himmelskörper und die zugehörigen Ausdeutungen ausführlich beschreibt und mit kleinen Abbildungen verdeutlicht. Zwar wird u.a. aufgrund der Ausführlichkeit und der inhaltlichen Thematik für den Papyrus ein mesopotamischer Einfluss angenommen, doch stellt gerade das Hinzufügen von bildlichen Vignetten zu einem Text ein typisch ägyptisches Vorgehen dar, das in dieser Form in Mesopotamien unbekannt war.

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