Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Ruben Zimmermann – Neuschöpfung. Die Koinzidenz von Anfang und Ende im frühen Christentum anhand der johanneischen Schriften

Ein Beitrag von Simone Gerhards.

Der thematische Bogen der interdisziplinären Ringvorlesung "Anfang und Ende. Vormoderne Szenarien von Weltentstehung und Weltuntergang" spannt sich mit dem Vortrag von Prof. Dr. Ruben Zimmermann vom 8. Januar 2015 weiter auf die christlichen Schöpfungsvorstellungen, die im vierten Evangelium des Neuen Testaments erwähnt werden. Das Johannesevangelium – der "Beststeller" der antiken Welt und der Weltliteratur – hat mit mehr als 5600 erhaltenen Exemplaren alleine aus den ersten Jahrhunderten eine bemerkenswerte Überlieferungsgeschichte erfahren, die bis in unsere heutige Zeit reicht. Mit einer narratologischen Arbeit am Text und einer Einbettung in das religionsgeschichtliche Umfeld stellte Prof. Dr. Zimmermann nicht nur die spezifischen Besonderheiten des Textes vor, sondern präsentierte uns auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu bereits gehörten Vorstellungen über Anfang und Ende. Das Johannesevangelium ist an dieser Stelle der Ringvorlesung besonders gut gewählt, da es eine Synthese zwischen der jüdisch-orientalischen (narrative Göttermythen) und der philosophisch-griechischen (Arbeit an Begriffen) Welt darstellt.
 

Im Anfang war das Wort – Der Logos als Schöpfungsprinzip an sich

 
Im Anfang war das Wort (Joh 1,1). Wer kennt sie nicht, die ersten Worte des Prologs des Johannesevangeliums – Doch welcher Anfang ist hier gemeint? Bezeichnet es den Anfang der Jesusgeschichte, den Anfang der Welt oder einen ganz anderen? Prof. Dr. Zimmermann erklärt, dass das griechische Wort Logos (λόγος) nicht nur mit "Wort" oder "Sinn" übersetzt werden kann, sondern auch den "Mythos" als zeit- und raumunabhängiges Prinzip beschreibt. Die deutsche Übersetzung "Im Anfang" ist daher einer Übersetzung mit "Am Anfang" vorzuziehen. Im Prolog (Joh 1,3) gilt der Logos als das Schöpfungsprinzip schlechthin. Auch die Genesis – das erste Buch der Thora – beginnt mit den berühmten Worten "Im Anfang" und beschreibt zum einen in einem von Wiederholungen geprägten Hymnus die göttliche Schöpfung der Welt (Gen 1) und zum anderen in einer mythologischen Erzählung die anthropomorphe Formung Adams (Gen 2-3). Im erstgenannten Hymnus spricht Gott nicht nur von Schöpfung, sondern die Schöpfung "geschieht" (ἐγένετο) durch sein Wort. Beim Johannesevangelium verhält es sich etwas anders: Logos erinnert zwar an das schaffende Wort Gottes aus der Genesis, doch es wird nicht von Gott gesprochen, vielmehr "ist" es bei Gott. Als Personifikation (das Wort ward Fleisch, Joh 1,14) wird der fleischgewordene Logos mit Jesus Christus identifiziert.
 

Schöpfungsmotive – Das Entstehen von Leben durch Trennung

 
Die geordnete Trennung von Licht und Finsternis ist eines der zentralen Motive der Schöpfung sowie ein tragendes metaphorisches Geflecht für die Erzähldramaturgie des Johannesevangeliums. Die handelnden Personen werden in zwei Gruppen unterteilt – die "Kinder des Lichts" und die "Kinder der Finsternis". Das Entscheidungskriterium für die Gruppenzugehörigkeit entsteht nicht durch einen vorgegebenen Schöpfungsakt, die Herkunft oder die Vernunft, sondern durch die eigene Haltung zu Jesus Christus. Der johanneische Jesus personifiziert sich selbst mit dem Licht (Ich bin das Licht der Welt, Joh 8,12).
Auch die Wassersymbolik besitzt im gesamten Evangelium eine bedeutende Rolle (Joh 4 und 7). Jedoch nicht in im Sinne einer zerstörerischen Flut oder einer Trennung der Urflut wie in der Genesis, vielmehr wieder in der Zuspitzung auf die Person Jesus Christus. Ähnlich wie das Licht wird auch das Wasser direkt auf Jesus bezogen.
 

Das Ende der Welt – Auferstehung und Rettung durch den Menschensohn


Für Prof. Zimmermann ist es wichtig, zwischen johanneischer Eschatologie und Apokalyptik zu unterscheiden. Während Eschatologie (ἔσχατον – das Letzte) die Lehre der letzten Dinge bezeichnet, beschreibt die Apokalyptik (ἀποκάλυψις – "Offenbarung", "Enthüllung") einen Sammelbegriff für religiöse Endzeitbewegungen, besonders des antiken Juden- und Christentums.
Die jüdische Apokalyptik nach den Propheten geht von einem totalen Weltende aus, das sich in einer Art Umkehrung der Schöpfung äußert (bspw. Finsternis statt Licht). Der Grund dafür ist das Verhalten der Menschen selbst wie z. B. das Führen von Krieg. Das Weltende vollzieht sich aber nicht ohne das Zutun Gottes (z. B. bei Daniel 7 oder Jes 13). Doch auch das Ende der jüdischen Apokalypse ist nicht endgültig, wie Prof. Zimmermann ausführt, denn selbst der Tod hat nicht das letzte Wort. Durch die Auferstehung wird ein Gegengewicht zum gewaltsamen Tod der Apokalypse aber auch dem Tod im Allgemeinen aufgebaut (z. B. Ez 37). Der "Menschensohn" (eine der Bezeichnungen des Messias, die im christlichen Kontext auch für Jesus verwendet wird) als endzeitlicher Retter erscheint in den Wolken, um das jüngste Gericht abzuhalten und dadurch eine Alternative für das Ende aufzuzeigen. Im Johannesevangelium zeigt sich der Menschensohn auf eine ganz andere Weise. Er erscheint nicht in den Wolken, um Gericht zu halten, sondern als Brücke zwischen Gott und Mensch.
 

Der Anfang im Ende – johanneische Zeitverschmelzung

 
Der Weg von Anfang zu Ende vollzieht sich nicht in einer linearen Abfolge von Ereignissen, sondern in einer Überlagerung oder Verschmelzung – einer Koinzidenz – der Zeithorizonte. In den johanneischen Schriften findet sich kein absolutes Weltende. Durch den Tod und die Auferstehung Jesus zeigt sich der Anfang auch im Ende. Das Symbol des Kreuzes/der Kreuzigung steht laut Prof. Zimmermann als zentrales Motiv für diese Koinzidenz.
 

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